Geburten, die zwischen der 24. (dem Beginn der Lebensfähigkeit) und der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche erfolgen, werden als Frühgeburt bezeichnet. Erfolgt die Geburt vor Erreichen der Lebensfähigkeit, so spricht man von einer Fehlgeburt oder Totgeburt.
Eine Schwangerschaft dauert normalerweise 40 Wochen (280 Tage nach der letzten Regelblutung). Im Falle einer Frühgeburt dauert sie weniger als 260 Tage. In der Regel wiegen diese Kinder weniger als 2.500 Gramm.
Man unterscheidet:
- Sehr kleine Frühgeborene (Very Low Birth Weight = VLBW): Sie wiegen weniger als 1.500 Gramm und sind in der Regel unreifer als 32 SSW.
- Extrem kleine Frühgeborene (Extremely Low Birth Weight = ELBW): Diese Frühgeborene haben ein Geburtsgewicht weniger als 1.000 Gramm.
Zudem kann auch eine Unterteilung erfolgen in:
- Hypotrophe Frühgeborene oder Small-for-gestational-age-Babies (SGA-Babys): Für die Schwangerschaftsdauer (Schwangerschaftsalter) unüblich klein und unüblich leichte Kinder.
- Hypertrophe Frühgeborene oder Large-for-gestational-age-Babies (LGA-Babys): Für die Schwangerschaftsdauer (Schwangerschaftsalter) unüblich groß und unüblich schwere Kinder.
In der Medizin ist der entscheidende Risikofaktor das Geburtsgewicht und weniger die Anzahl der Schwangerschaftswochen. Als kritische Grenze gilt ein Geburtsgewicht von 2.500 Gramm. Somit wären in Deutschland ein Drittel aller Geburten Frühgeburten (auch nach Definition der WHO- Weltgesundheitsorganisation).
In den letzten 15 Jahren ist die Sterberate (Mortalität) unter Frühgeborenen von acht pro 1.000 auf fünf pro 1.000 gesunken.
Rauchen, vor oder in der Schwangerschaft, ist ein Faktor der eine Frühgeburt beeinflusst
Die häufigsten Ursachen für die Frühgeburtlichkeit sind:
- Fruchtwasserinfektionen: sie werden beispielsweise durch Geschlechtskrankheiten ausgelöst
- Infektionen von Blase oder Nierenbecken
- extrem psychische Belastungen der Mutter
- Rauchen, vor oder in der Schwangerschaft
- Fehlbildungen oder Erbschäden des Kindes
- Zwillingsschwangerschaft
- Parodontitis
- Plazentainsuffizienz
- Zervix-Insuffizienz
- vorzeitige Wehen
- vorzeitiger Blasensprung
In den meisten Fällen lässt sich jedoch keine klare Ursache finden.
Zudem gibt es eine Reihe von Risikofaktoren, welche als Auslöser in Frage kommen.
In der Regel unterscheidet man zwischen mütterliche allgemeine, mütterliche lokale und kindliche Ursachen. Meist kommen aber mehrere Faktoren zusammen.
Mütterliche allgemeine Risikofaktoren
- Erstgebärende
- Mutter unter 18 Jahren oder älter als 30 Jahren
- körperliche Belastung
- schlechte Ernährung oder schlechter Ernährungszustand
- bereits eine Frühgeburt gehabt
- Rauchen
- Infektionserkrankungen
- bestehende Erkrankungen der Mutter, wie Diabetes oder Schilddrüsenfunktionsstörungen
- Präeklampsie (schwangerschaftsbedingter Bluthochdruck)
- niedriges Körpergewicht der Mutter (weniger als 55 kg vor der Schwangerschaft)
Mütterliche lokale Risikofaktoren
- Blutungen während der Schwangerschaft
- gutartige Muskelknoten der Gebärmutter
- Anomalien der Gebärmutter
- Infektionen am Gebärmutterhals
- ungenügender Verschluss des Gebärmutterhalses
- vorzeitige Wehentätigkeit
- teilweise vorausgegangene Schwangerschaftsabbrüche
Kindliche Risikofaktoren
- Polyhydramnion (zu viel Fruchtwasser)
- Funktionsstörungen des Mutterkuchens
- veränderte Lage des Mutterkuchens
- vorzeitiger Blasensprung
- Mehrlingsschwangerschaft
Frühgeborene sind abgesehen vom Tod auch durch Spätschäden bedroht, die jedoch bei korrekter medizinischer Versorgung eher selten auftreten.
Vorzeitiges Platzen der Fruchtblase kann ein Anzeichen sein
Eine Frühgeburt kann sich vor allem durch folgende Anzeichen ankündigen:
- vorzeitige Wehen
- Blasensprung (vorzeitiges Platzen der Fruchtblase)
Aufgrund der Frühgeburt besteht eine unreife der Organe, welche zu verschiedenen Problemen führen kann.
Frühgeborene sind vor allem folgenden Risiken ausgesetzt:
- Atemnotsyndrom, Surfactantmangel-Syndrom, RDS (Respiratory Distress syndrom): Da die Lunge noch unreif ist, wird nur in geringem Maße Surfactant gebildet. Surfactant ist ein Gemisch aus Phospholipiden und Proteinen, welches die Oberflächenspannung in den Alveolen reduziert und somit die Entfaltung der Lungen ermöglicht.
Aufgrund des Surfactantmangels kollabieren die Lungenbläschen und können am Gasaustausch nicht mehr teilnehmen. Folge ist Atemnot und Sauerstoffmangel. Zur Behandlung des Atemnotsyndroms wird das Frühgeborene íntubiert und künstlich beatmet. Das Surfactant kann nun über den Beatmungsschlauch in die Lunge eingebracht werden. Um die Lungenreife zu fördern, können vor der Geburt (vor der 35. Woche) noch Kortikoide als Spritze oder Tabletten gegeben werden.
Die kindliche Lunge ist erst ab der 35. Woche sicher in der Lage Surfactant zu bilden, die bei der Entfaltung der Lungenbläschen hilft. Eventuell bestehende Wehen können durch Wehenhemmer gestoppt werden, um die Geburt solange hinauszuzögern, bis die Lungenreife erreicht ist. - Hirnblutungen: Hirnblutungen treten vor allem unter einem Reifealter von 32 Schwangerschaftswochen auf. Je unreifer das Kind ist, desto größer ist das Risiko einer Hirnblutung. Bei Frühgeborenen ist eine Ansammlung von kleinen Gefäßen, welche sich unterhalb der beiden Seitenventrikel (innere Hirnwasserräume) befinden, besonders kritisch. Diese Gefäße können aufgrund von verschiedenen Faktoren einreißen und zu einer Blutung führen. Hirnblutungen werden unterteilt in:
- Grad 1: leichte Blutung, bleibt lokal begrenzt
- Grad 2: milde Blutung, ergießt sich in die Hirnwasserräume der Seitenventrikel (werden bis zu 50 Prozent gefüllt)
- Grad 3: schwere Blutung, die Seitenventrikel werden zu über 50 Prozent ausgefüllt
Kommt es aufgrund der Blutung zu einer Verlegung der drainierenden Venen, so kann eine weitere schwere Blutung im Nervengewebe des Gehirns auftreten (früher Grad 4).
Eine günstige Prognose haben vor allem Grad 1 und Grad 2 Blutungen. Ab einer Grad 3 Blutung wird vorwiegend mit motorischen Behinderungen gerechnet. Im Falle einer akuten Blutung kann es durch den starken Blutverlust zu einem Schock kommen, welches im weiteren Verlauf den Abfluss des Hirnwassers behindern kann. Folge ist ein Hydrocephalus. - Nierenunterfunktion: Die unreife Niere ist noch nicht in der Lage Urin zu produzieren. Daher sammeln sich im Blut Substanzen an, die normalerweise in den Urin ausgeschieden würden. Das Kalium spielt hier eine wichtige Rolle, da ein erhöhter Kaliumwert im Blut zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen kann.
- Persistierender Ductus arteriosus Botalli (PDA): Durch das Offenbleiben des Ductus arteriosus Botalli nach der Geburt kommt es zu Störungen des kindlichen Blutkreislaufes. Normalerweise kontrahieren sich die Muskelzellen des Ductus arteriosus durch die Erhöhung des Sauerstoffpartialdrucks und verschließen das Gefäß. Dieser Kontraktionsreiz ist bei einem deprimierten Frühgeborenen mit Hyperkapnie, Hypoxie und respiratorischer Azidose nicht gegeben.
Es kommt zu einem Links-Rechts-Shunt, welches zu einer pulmonalen Hypertonie führt und das Krankheitsbild weiter verschlechtert. Es handelt sich um ein Teufelskreis, welches therapeutisch unterbrochen werden muss. - Nekrotisierende Enterokolitis (NEC): Aufgrund der noch nicht regelrechten Darmbewegungen (Peristaltik) kann es beim Frühgeborenen zum Aufstau im Darm kommen. In diesem Milieu wachsen und vermehren sich Bakterien, die zu einer Darmentzündung, nekrotisierenden Enterokolitis (NEC), führen können.
- Netzhautschäden: Durch eine Neubildung von Blutgefäßen kann es zu Blutungen in der Netzhaut, der Retinopathia praematurorum, kommen.
- Neugeborenenikterus: Da die Leberfunktion noch nicht reif ist, kann es zu einer ausgeprägten Neugeborenengelbsucht kommen.
- Infektionsrisiko: Die Körperabwehr ist bei Frühgeborenen noch nicht voll ausgebildet. Dadurch besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko.
- Temperaturregulationsstörungen
- Trinkstörungen
Wie kann eine Frühgeburt verhindert werden?
Um eine Frühgeburt zu verhindern oder die Schwangerschaft so weit wie möglich zu verlängern, sollten folgende Maßnahmen durchgeführt werden:
- Primär sollten die bestehenden mütterlichen Erkrankungen behandelt werden.
- Ruhe einhalten und frühzeitig mit dem Arbeiten aufhören.
- Vorzeitige Wehen können zum Teil medikamentös, mit Wehenhemmern und Magnesiumgaben, zum Stillstand gebracht werden. Wehenhemmer (Tokolytika) behandeln jedoch nicht die Ursache der vorzeitigen Wehen, sondern geben dem Kind die Möglichkeit, um die notwendige Lungenreife noch vor der Geburt zu erlangen.
- Durch die Gabe von Kortison wird die kindliche Lungenreife gefördert. Das Kortison regt die Bildung des Surfactants in den Lungen des Kindes an.
- Infektionen am Muttermund sollten mit Antibiotika behandelt werden.
- Die Entbindung erfolgt in der Regel bei Frühgeburten unter der 32. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt, da der Eingriff für das Kind viel schonender ist.
- Wichtig ist vor allem die Unterstützung der Lungenreifung vor der Geburt des Kindes!
Was sollte man bei einer Frühgeburt beachten?
- Die Entbindung sollte in einer Klinik mit angeschlossener Kinderklinik erfolgen.
- Bei der Geburt sollte ein Kinderarzt anwesend sein.
- Der Transport sollte in einem Inkubator, einer speziellen Transportkiste mit Heizung und weiterer technischer Ausstattung durchgeführt werden.
- Kontrolle von Wasser und Nährstoffzufuhr
- Ausgleich von Störungen des Salzhaushaltes
- Behandlung von Atemstörungen
- Neugeborenenscreening
Je erfahrener die Ärzte und das medizinische Personal sind, desto größer ist die Chance auf ein Überleben des Kindes ohne Spätfolgen.
Erst nach der 23. Schwangerschaftswoche kann man sich sicher sein
Die Vollendung der 23. Schwangerschaftswoche gilt heute als notwendige Bedingung für das Überleben eines frühgeborenen Kindes mit medizinischer Hilfe. Bei sehr unreifen Frühgeborenen sind jedoch die Mortalität und Morbidität besonders hoch. Die Überlebenschancen des Kindes sind auch stark von der Erfahrung des behandelnden Ärzteteams abhängig.
Ab der vollendeten 24. Schwangerschaftswoche liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit in Deutschland zurzeit bei 60 Prozent und steigt mit zunehmender Reife. Für das Überleben spielt vor allem die Lungenreife eine große Rolle.
Bei der Prognose spielt neben der Lungenreife auch das Gewicht eine entscheidende Rolle. Kinder mit einem Geburtsgewicht < 1500 Gramm haben ein 200fach erhöhtes Risiko zu sterben, als Kinder mit einem Geburtsgewicht von über 2500 Gramm.
Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von kleiner 500 Gramm haben unabhängig von der Lungenreife eine schlechte Überlebenschance (20 bis 30 Prozent).
Mit welchen Spätfolgen muss man rechnen?
Durch den starken medizinisch-technischen Fortschritt werden heute auch zu frühe Geburten überlebt. Auf der anderen Seite muss man jedoch bedenken, je unreifer das Kind geboren wurde, desto höher ist das Risiko einer bleibenden Körperbehinderung oder kognitiven Beeinträchtigung.
Es wurden vor allem folgende Spätfolgen beobachtet:
- Aufmerksamkeitsdefizit
- Hyperaktivitätsstörung
- Lernbehinderung, wie Rechenschwäche oder Lese-Rechtschreibschwäche
- Verhaltensprobleme
- Seh- und Hörschäden
- Krampfanfälle
- Psychische Störungen, wie Angststörungen oder Depressionen
- chronische Lungenprobleme, wie Asthmaerkrankung
- motorische Störungen
- Intelligenzquotient < 85
Frühgeborene Frauen haben zudem ein erhöhtes Risiko, selbst eine Frühgeburt zu erleiden.
Hinweise für schwangere Frauen
Durch eine Aufklärung und ausführliche Beratung der Schwangeren über die Veränderungen in der Schwangerschaft und den richtigen Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen, kann man unter Umständen eine Frühgeburtlichkeit verhindern. Gut beratene Frauen besitzen nämlich mehr Kenntnis, erkennen Störungen und Ungewöhnliches schneller und besser und können diese frühzeitig mit ihrem Arzt besprechen.
Durch die Mutterschutzbestimmungen gelten am Arbeitsplatz für Schwangere andere Regeln. So sind Fließbandarbeit, langes Stehen oder das Heben schwerer Lasten nicht mehr erlaubt.
Mit der Hilfe des Personals der Neugeborenenintensivstation lernen Sie den richtigen Umgang mit ihrem Kind. Ist der Zustand des Kindes stabil, so ist auch der erste Körperkontakt möglich. Ein sehr beliebtes Verfahren ist das Känguru-Verfahren.
Hier werden die Kleinen auf die Brust der Mutter gelegt, um die Wärme des mütterlichen Körpers und den Herzschlag zu spüren. Das Gedeihen wird dadurch manchmal mehr unterstützt, als es die beste Medizin erreichen kann.