Das autogene Training ist eine Entspannungstechnik, die auf Autosuggestion beruht. Über die Entspannung der Muskeln sollen psychische Verspannungen gelöst und körperliche Beschwerden gelindert werden. Der Begriff autogen setzt sich aus den griechischen Wörtern autos = selbst und genos = erzeugen zusammen.
Die Grundlagen des autogenen Trainings wurden von dem Hirnforscher Oskar Vogt (1870 - 1959) entdeckt. Dieser behandelte Patienten mit Hypnose und stellte fest, dass sie sich nach einiger Zeit auch selbst in den hypnotischen Zustand versetzen konnten.
Auf diese Erfahrungen stützte sich der Psychotherapeut Johannes Heinrich Schultz (1884 - 1970) und begann um 1915 mit der Erforschung von Selbsthypnose und deren Auswirkungen. Dabei stand die Entwicklung einer Methode im Vordergrund, die den Patienten vom Hypnotiseur unabhängig sollte und ihm selbst die Verantwortung über die Behandlung geben sollte. Erfahrungen mit der Selbsthypnose konnte Schultz während des 1. Weltkrieges in einem Lazarett sammeln. Die dort behandelten Kriegsversehrten konnten mit dieser Methode ihre schweren Ängsten und psychischen Störungen besser verarbeiten. Weitere Untersuchungen führte er in den folgenden Jahren an interessierten Ärzten und Patienten durch. Seine Ergebnisse stellte er 1932 in der Publikation „Das autogene Training" der Öffentlichkeit vor.
Aufgrund neuer Erkenntnisse wurden die ursprünglichen Methoden erweitert. An dieser Weiterentwicklung waren mehrere Therapeuten beteiligt. Heute ist das autogene Training das bekannteste und am häufigsten eingesetzte Verfahren zur Entspannung.
Das autogene Training beruht auf der Annahme, dass die Funktionen des parasympathischen Nervensystems durch Entspannungs- und Medikationszustände verstärkt und willentlich gesteuert werden können. Während des Trainings findet eine passive Konzentration und das Ausblenden äußerer Reize statt, was zu einem tiefen Entspannungszustand führt, der durch die Konzentration auf bestimmte Vorstellungen und Gedanken noch verstärkt werden kann. Durch diesen hypnoseähnlichen Zustand können Ängste und andere negative Gefühle gemildert und abgebaut werden.
Aufgebaut ist das autogene Training aus einem zweistufigen System mit Ober- und Unterstufe. Die Unterstufe hat zum Ziel, sicher jederzeit selbst in den Zustand der Entspannung versetzen zu können. Durch formelhafte Leitsätze soll in der Oberstufe die psychische Einstellung verändert werden und auf diese Weise eine umfassende Psychotherapie unterstützen.
Verschiedene Vorstellungen der Psychologie und der Psychotherapie werden zur Erklärung herangezogen. So ging Schultz beispielsweise von einer Dämpfung der Affekte (Gefühle) aus. Die Psychoanalyse hingegen erklärt die Wirkung als Rückbildung (Regression) entsprechend ihrer Krankheitstheorie. In der Verhaltenstherapie wird von einer Konditionierung ausgegangen, die die Wirkung dadurch erklärt, dass sich Änderungen festigen, indem sie als positiv erlebt werden.
Da bei dem autogenen Training psychotherapeutische Aspekte der Autosuggestion mit den Effekten der Tiefenentspannung verbunden werden, ist dessen Konzept wissenschaftlich plausibel. Heftige Empfindungen und Gefühle führen zu starken Erregungszuständen einzelner Organe und Muskelverspannungen. Diese können über den Körper, etwa Massagen, aber auch die Psyche, durch Vorstellungskraft, beeinflusst werden.
Werden die Übungen regelmäßig wiederholt, wird ein Rückkopplungsmechanismus geschaffen. Dieser ermöglicht eine bessere Kontrolle über unwillkürliche Prozesse. Parallel dazu finden körperliche Veränderungen statt.
Bevor die Technik des autogenen Trainings erlernt werden kann, sollte eine medizinische Diagnose vorliegen.
Das autogene Training wird meist in Gruppen von 6 bis 12 Teilnehmern, selten in Einzelsitzungen, unter Anleitung eines Psychologen, Arztes oder Fachkundigen durchgeführt. Die Übungen finden in einem ruhigen Raum statt, um Störungen von Außen zu vermeiden. Der Trainingserfolg kann mit kurzen Aufzeichnungen über die Fortschritte gefestigt werden.
Während des Trainings nimmt der Übende eine entspannte Haltung ein. Häufig ist dies die sogenannte Droschkenkutscherhaltung, bei der der Kopf gesenkt und nach vorn gebeugt ist, die Füße fest auf dem Boden stehen und die Hände entspannt auf den Oberschenkeln ruhen. Anfangs können die Übungen jedoch auch im Liegen durchgeführt werden. Die Augen sind während des Trainings geschlossen.
Die Unterstufe umfasst sechs Übungen (Schwereübung, Wärmeübung, Atemübung, Herzübung, Sonnengeflechtsübung und Kopfübung). Sie werden nacheinander eingeübt, bis sie in einem Ablauf beherrscht werden. Der Trainer gibt dazu Beispiele für formelhafte Sätze, die jedoch individuell abgewandelt werden können (z.B. „Arme und Beine sind ganz schwer" oder „Die Schwere fließt in meine Arme und Beine").
In den Übungsstunden werden außerdem Erfahrungen ausgetauscht, Fehler korrigiert und die Rücknahme aus der Entspannung eingeübt. Diese ist ein bewusstes Aufwachen und wird etwa durch tiefes Einatmen, Muskelan- und -entspannung und das Öffnen der Augen erreicht.
Eine Übung dauert etwa drei bis fünf Minuten. Die Sitzungen haben eine Dauer von 50 bis 70 Minuten und werden etwa alle zwei bis drei Wochen wiederholt. Zwischen den Übungsstunden wird zu Hause geübt.
Die Oberstufe besteht ebenfalls aus sechs Übungen, die mit individuellen Leitsprüchen durchgeführt werden. Sie sollen zur meditativen Versenkung anregen, bei der sich innere Bilder einstellen. Diese werden mit einem begleitenden Psychotherapeuten besprochen. Besitzt der Übende bereits Erfahrungen mit der Oberstufe kann er sich auch allein mit den selbst gewählten Bildern auseinandersetzen.
Von Psychotherapeuten, Psychiatern, Allgemeinmedizinern und Ärzten anderer Fachrichtungen sowie Heilpraktikern wird das autogene Training zur Behandlung eingesetzt. Es kann jedoch auch in Laienkursen, etwa zur Entspannung, geübt werden.
Die Ausbildung erfolgt in Heilpraktikerschulen oder in psychotherapeutischen Ausbildungsinstituten im Rahmen der Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie. Letztere erwarten die Teilnahme an mindestens zwei Kursen mit je 8 bis 12 Doppelstunden. Sie umfassen neben dem autogenen Training auch psychologische und medizinische Grundlagen.
Das autogene Training findet bei allen Beschwerden, die durch Stress bedingt sind und mit psychischer Belastung verbunden sind, Anwendung. Dies sind etwa Bluthochdruck, Unruhe, Ängste, Phobien, Überlastung (Burnout), Depressionen und Schlafstörungen. Verwendung findet es außerdem bei Kopfschmerzen, Migräne, PMS (Prämenstruelles Syndrom), chronischen Schmerzzuständen (Fibromyalgie, Sudeck-Krankheit), Verspannungen, Magenbeschwerden, Verdauungsstörungen, Blasenentleerungsstörungen, Asthma, Angina-Pectoris-Beschwerden und Tinnitus. Außerdem wird das autogene Training zur Geburtsvorbereitung, dem Abbau von Spannungen, sowie zur Einleitung bzw. in Kombination mit einer psychotherapeutischen Behandlung eingesetzt.
Bei Persönlichkeitsstörungen, schweren psychischen Erkrankungen und latenten Psychosen sollte das autogene Training nicht angewendet werden. Auch bei schweren Depressionen und starken Angstzuständen ist von einer Anwendung abzuraten. Liegen Herzrhythmusstörungen oder Asthma vor, sollte das Training unter kompetenter Anleitung erfolgen.
Wird autogenes Training neben einer Standardtherapie eingesetzt, ist gegebenenfalls eine Anpassung der Medikamentendosierung notwendig.
Autogenes Training sollte nicht von medizinisch unerfahrenen Trainern zur therapeutischen Behandlung durchgeführt werden. Es besteht dadurch die Gefahr, dass auf eine medizinische Diagnose verzichtet und eine notwendige Behandlung versäumt wird.
Gelegentlich können ungewohnte Reaktionen des Körpers, wie starkes Herzklopfen und verstärkte Rückenschmerzen, auftreten, die mit dem Trainer abgeklärt werden sollten. Wird das autogene Training nicht korrekt durchgeführt, können Angstzustände auftreten.
Bei Angina Pectoris, Asthma, Ekzemen, Epilepsie, Fibromyalgie, Glaukom, Kopfschmerzen, milden Depressionen, neurovegetativer Dystonie, Raynaud-Syndrom, Schlafstörungen, Stress, Sudeck-Krankheit und Tinnitus ist die Wirksamkeit von autogenem Training als Ergänzung zur herkömmlichen Behandlung nachgewiesen. Erfolgt die Anwendung sachgemäß, ist das Risiko gering. Die Nutzen-Risiko-Abwägung ist daher insgesamt positiv und das autogene Training ist für diese Erkrankungen als begleitende Behandlung „geeignet".
Für die Wirksamkeit bei Bluthochdruck liegen bisher zu wenig aussagekräftige Studien vor. Die Nutzen-Risiko-Abwägung fällt deshalb eher negativ aus und das autogene Training ist zur Behandlung von hohem Blutdruck nur „wenig geeignet".
Letzte Aktualisierung am 13.09.2021.