Die Blutegeltherapie ist ein ausleitendes Verfahren der Alternativmedizin, bei dem je nach zu behandelnder Krankheit Blutegel an verschiedene Hautstellen angesetzt werden, wo sie an den Körper gerinnungshemmende Stoffe abgeben.
Erste Aufzeichnung über die Behandlung von Krankheiten mit Blutegeln finden sich in den Keilschriften der Babylonier aus dem 15 Jh. v. Chr. Die Methode verbreitete sich ab dem 2. Jh. n. Chr. von Griechenland aus über ganz Europa, wo sie ein wichtiger Bestandteil der Medizin neben dem Aderlass wurde. Einer der wichtigsten Gründe hierfür ist die damalige Vorstellung, dass Krankheiten durch „schlechte Säfte" verursacht werden, die durch Blutentzug abgeleitet werden können.
In der Mitte des 18. Jh. war die Blutegeltherapie so beliebt, dass Millionen Tiere verbraucht wurden. Ende des 19. Jh. ging die als Vampirismus bezeichnete Methode aufgrund des hohen Preisanstiegs und neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen über die Entstehung von Krankheiten zunehmen zurück und geriet beinahe vollkommen in Vergessenheit. Erst in den 1970er Jahren wurde sie neu entdeckt und findet seitdem in der plastischen Chirurgie und der Mikrochirurgie Anwendung.
Die Wirksamkeit der Blutegeltherapie kann auf verschiedene Weise erklärt werden:
Das Konzept der Blutegeltherapie entspricht weitestgehend den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ein Blutegelbiss wirkt als unspezifischer Reiz im Sinne der Gate-Control-Therapie schmerzlindernd. Die gerinnungshemmende, entzündungshemmende und gefäßerweiternde Wirkung der Stoffe im Blutegelspeichel ist wissenschaftlich bestätigt. Deren Dosierung ist ein Erfahrungswert, wobei die Anzahl der angesetzten Egel die Höhe der Dosis bestimmt.
Vor der Behandlung mit Blutegeln sollte auf die betroffenen Hautstellen keine Salbe, Creme oder Lotion aufgetragen werden. Die Hautareale werden mit warmem Wasser gereinigt. Etwa zwei Stunden vor dem Einsatz der Blutegel werden diese in kaltes, abgekochtes Wasser gelegt, um so die Zahl der Keime auf deren Haut und den Saugnäpfen zu verringern.
Die Blutegeltherapie wird üblicherweise im Liegen durchgeführt. Verwendet werden Blutegel, die eigens zu medizinischen Zwecken gezüchtet werden, 10 bis 15 cm lang sind und etwa 10 mL Blut saugen. Sie werden mit dem Zähnchen tragenden Kopf auf die betroffene Hautstelle gesetzt, die zuvor eventuell mit einem Skalpell angeritzt wird. Mit einer Kompresse oder Watte werden die Blutegel warm abgedeckt, um sie so zum Saugen anzuregen. Im Durchschnitt dauert das Saugen etwa 20 bis 40 Minuten. Anschließend fallen die Egel von selbst wieder ab, wenn sie genug Blut aufgenommen haben. Ist dies nicht der Fall, werden sie mit einem Holzspatel vorsichtig entfernt.
Die Wunde blutet ca. 10 bis 12 Stunden nach. Um diese Nachblutung zu fördern, werden warmfeuchte Kompressen aufgelegt. Auf diese Weise fließen nochmals etwa 40 mL Blut ab. Nur wenn die Blutung zu stark ist oder länger andauert, wird sie mit einer trockenen Kompresse gestillt. Bei einer Erstbehandlung, bei starken Nachblutungen, bei langer Anfahrt und bei Kindern sollte der Patient noch einige Stunden in der Praxis ruhen. In dieser Zeit sollte er auf körperliche Aktivitäten verzichten bis eine spontane Blutstillung eintritt.
Die Bisswunde verfärbt sich ähnlich einem Bluterguss. Diese Verfärbung bildet sich jedoch nach etwa zwei Wochen zurück. Der Heilungsprozess selbst geht meist mit starkem Juckreiz einher. Die entstehenden Narben verkleinern sich, verblassen und sind schließlich nach einigen Wochen nicht mehr sichtbar.
Üblicherweise werden 2 bis 10 Blutegel angesetzt. Ihre Zahl variiert jedoch je nach ihrer Größe, sowie Gewicht und Alter des Patienten, seinem Ernährungszustand, dem Krankheitsbild und der Häufigkeit der Behandlung.
Die Blutegeltherapie wird in vielen Heilpraktikerschulen gelehrt. Ärzte und Pflegepersonal in Rheumakliniken und in den Abteilungen der plastischen Chirurgie und der Unfallchirurgie in Krankenhäusern werden im Umgang mit Blutegeln und deren Einsatz geschult. Zusätzlich kann aus Fachbüchern die sachgerechte Anwendung entnommen werden.
Zum Einsatz kommt die Blutegeltherapie in der Alternativmedizin in vielen Bereichen. So soll sie etwa bei Entzündungen und Rheuma aller Art, Stauungen in Venen und Lymphgefäßen, Venenentzündungen, Thrombosen, Krampfadern und Beingeschwüren Linderung verschaffen. Auch Migräne, Nasennebenhöhlenentzündungen, Neuralgien, Gürtelrose, Schwellungen, Zerrungen, Schlaganfall und Schwindel werden mit dieser Methode behandelt.
In der konventionellen Medizin kommt die Blutegeltherapie in erster Linie in der plastischen und der Mikrochirurgie nach der Replantation von Ohren, Fingern, Zehen oder Hautlappen, sowie in der Unfallchirurgie zur Anregung der Durchblutung und der besseren Wundheilung zum Einsatz. In Rheumakliniken wird die Therapie zur Schmerzlinderung bei Gelenkentzündungen angewendet.
Bei der Bluterkrankheit, schwerer Blutarmut, Leukämie, Magengeschwüren, chronischen Erkrankungen, ausgeprägter Immunschwäche, Wundbrand, Wundheilungsstörungen, einem stark beeinträchtigten Allgemeinbefinden und bekannten Allergien sollte die Blutegeltherapie nicht angewendet werden. Die Blutegel sollten nicht an offenen Wunden, großen oberflächlichen Krampfaderknoten, Ekzemen und besonders schmerzempfindlichen Hautstellen angesetzt werden. Auch an Krebsgeschwüren, am Augenlid und an den Ohrmuscheln sollten sie nicht angewendet werden.
Findet eine gleichzeitige Behandlung mit quecksilberhaltigen Mitteln, wie etwa in der Homöopathie oder der ayurvedische Medizin, statt, sollte nicht mit Blutegeln therapiert werden, da das Hirudin die Wirkung des Quecksilbers verstärkt. Bei gleichzeitiger Einnahme von gerinnungshemmenden Mitteln besteht die Möglichkeit, dass deren Wirkung verstärkt wird. In diesem Fall sollte die Blutegeltherapie nur unter ärztlicher Kontrolle eingesetzt werden.
Die Blutegeltherapie sollte bei Kindern nicht in der Rippengegend angewendet werden, da sich dort die Haut beim Atmen noch leicht verschiebt. Zudem sollte nur ein Blutegel pro Behandlung angesetzt werden, um eine Überdosierung von Hirudin zu vermeiden. Nach der Behandlung sollten Kinder noch einige Stunden beobachtet werden.
Häufig kommt es bei der Blutegeltherapie zu lokalen Hautreizungen und Entzündungen sowie leichten Schmerzen an der Bissstelle. In seltenen Fällen kann es auch zu langanhaltenden Nachblutungen kommen. Es kann eine Infektion mit dem Bakterium Aeromonas hydrophila auftreten. Eine allergische Reaktion auf die Behandlung ist möglich. Hierbei kann es zu einer allergischen Sofort, aber auch zu Spätreaktionen kommen. Bei frisch Operierten kann es zu Nachblutungen im Bereich der Operationswunde kommen.
Wird eine zu große Zahl an Blutegeln eingesetzt, kann es aufgrund des zu hohen Blutverlustes zu Schwindel und Ohnmacht kommen. Bei unsachgemäßer Anwendung kann es zu Zwischenfällen kommen. So können die Blutegel durch Ansetzen an Körperöffnungen in diese Eindringen und innere Blutungen verursachen. Durch mehrmaliges Verwenden können zahlreiche Viren- und Bakteriengattungen übertragen werden.
Bei Arthrose im Kniegelenk wirkt die Blutegeltherapie schmerzlindernd. Da die Risiken bei Beachtung der Vorsichtsmaßnahmen gering sind, fällt die Nutzen-Risiko-Abwägung positiv aus. Somit ist die Blutegeltherapie zur Behandlung von Kniegelenkarthrose „geeignet".
Zur Behandlung anderer Krankheiten mit Blutegeln sind keine Studien vorhanden. In diesen Fällen ist die Blutegeltherapie „nicht geeignet".
Letzte Aktualisierung am 13.09.2021.