Die Chelattherapie ist eine komplementärmedizinische Methode, bei der Infusionen mit Chelatbildnern (meist Ethylendiamintetraacetat, kurz EDTA) verabreicht werden. Auf diese Weise sollen Gifte, Mineralstoffe und Stoffwechselprodukte von den Gefäßwänden abgelöst und aus dem Blutstrom entfernt werden. Der Name Chelat leitet sich aus dem Griechischen für Krebsschere ab. Diese Bezeichnung ist auf die Molekülstruktur der Komplexe zurückzuführen.
Die Chelattherapie beruht auf dem Wissen, dass Chelatbildner bestimmte Stoffe, wie Schwermetalle und Calcium, binden und dadurch in eine lösliche Form überführen. Auf diese Weise können sie über die Niere ausgeschieden werden. Diese Eigenschaft ist seit 1941 bekannt und wird in der konventionellen Medizin angewendet, um Schwermetallvergiftungen zu behandeln.
Aufgrund dieser Eigenschaft wurde in späteren Jahren versucht, von Schwermetallvergiftungen unabhängige Durchblutungsstörungen und andere Beschwerden zu behandeln. Von den USA aus verbreitete sich schließlich in den 1980er Jahren die Chelattherapie nach Europa. Unter dem Slogan „Rohrfrei für die Arterien" wurde sie in Deutschland von Heilpraktiker- und Ärztegesellschaften beworben. Mittlerweile ist der Einsatz der Chelattherapie jedoch wieder zurück gegangen. Viele Ärztegesellschaften raten von ihr vor allem wegen der großen Risiken ab.
Ursprünglich beruhte das Konzept der Chelattherapie in der Alternativmedizin auf der Idee, durch Arteriosklerose verursachte Kalkablagerungen an den Gefäßwänden mit EDTA herauszulösen. Das soll zu einer Reinigung aller Gefäße, von der Schlagader bis zu den kleinsten Haargefäßen, führen. Dieser Anspruch stieß jedoch auf Widerspruch und so wurden der Methode auch andere Wirkungsmechanismen zugeschrieben. So soll die Chelattherapie Metalle aus dem Körper lösen, um auf diese Weise unerwünschte Reaktionen von reaktionsfreudigen Sauerstoffverbindungen, den so genannten freien Radikalen, zu vermeiden. Diese können dadurch nicht mehr gewebeschädigend wirken. Auch sollen durch die Chelattherapie Zellveränderungen nicht mehr zu Ansammlungen von Fett, Bindegewebe- und Muskelzellen in den Arterienwänden führen können.
Durch neue medizinische Erkenntisse wurde die ursprüngliche Theorie über die Wirkung widerlegt. Inzwischen ist nachgewiesen, dass Ablagerungen an den Gefäßwänden der Arterien von anderen Faktoren beeinflusst werden. Eine wichtige Rolle spielen hierbei beispielsweise hohe Cholesterinwerte. Diese führen dazu, dass die Gefäßwände verhärten und mit Fett verkleben, was zu einer Anlagerung weiterer Stoffe, wie z.B. kalkhaltige Stoffe, führt. Dadurch verhärten die Gefäße zunehmen und verengen sich. Die Chelattherapie führt zu keiner „Entkalkung" der Gefäße und weitet somit nicht die Gefäße und macht sie auch nicht elastischer. Auf die Fettablagerungen hat sie ebenfalls keinen Einfluss.
Die Grundlage der Diagnose sind in der Regel eine konventionelle körperliche Untersuchung und konventionelle Labortests. In manchen Fällen wird eine Haarmineralanalyse durchgeführt. Diese soll Auskunft über den Mineralstatus des Körpers geben.
Bei der Chelattherapie wird die EDTA-Lösung mittels Infusion in den Körper gebracht. Verwendet werden meist 0,5 bis 3 g Natrium-EDTA in ½ bis 1 L physiologischer Kochsalzlösung. Dieser werden in kleinsten Mengen Heparin, Magnesiumchlorid, B-Vitamine und Vitamin C hinzugefügt. Während der Behandlung, die ca. vier Stunden dauert, soll der Patient etwa einen Liter Flüssigkeit trinken. Die Behandlung findet ein- bis dreimal pro Woche statt. Üblicherweise umfasst eine Behandlungsserie 30 oder mehr Infusionen. In der Regel wird nach der fünften Behandlung eine Blutuntersuchung durchgeführt. Diese soll Aufschluss darüber geben, welche wichtigen Spurenelemente ausgeschwemmt wurden und vom Patienten wieder eingenommen werden müssen. Oft wird zusätzlich eine gesunde Lebensführung empfohlen.
Interessierte Ärzte und Heilpraktiker werden von der Deutschen Gesellschaft für Chelat-Therapie ausgebildet. Die Ausbildung findet in Seminaren und Eintagespraktika statt und wird mit einem Zertifikat abgeschlossen.
Die Chelattherapie findet Anwendung bei schmerzhaften Gelenkleiden wie Entzündungen (Arthritis), Angina-Pectoris-Beschwerden, Blutdruckhochdruck, Durchblutungsstörungen (Arteriosklerose) und Raucherbeinen (Schaufensterkrankheit). Zudem soll sie eine Bypassoperation ersetzen und Schlaganfällen vorbeugen. Weitere Einsatzgebiete sind Gallensteine, Gasansammlungen in der Lunge (Emphysem), Kopfschmerzen, Krebserkrankungen, Nierenprobleme, Osteoporose, Parkinsonkrankheit und Diabetes. Die Methode soll vorzeitiges Altern verhindern, Konzentration und Gedächtnis verbessern, die Potenz steigern, sowie Sehen, Hören und den Geruchssinn fördern.
Bei Blutgerinnungsproblemen, vermindertem Blutzucker (Hypoglykämie), eingeschränkter Leberfunktion, Blutungsneigung, Nierenstörungen und Tuberkulose sollte die Chelattherapie nicht eingesetzt werden.
Die Wirkung gerinnungshemmender und blutdrucksenkender Medikamente kann beeinflusst werden. Außerdem wird die Wirkung calciumhaltiger Mittel abgeschwächt.
Die Chelattherapie sollte nicht bei Kindern unter 14 Jahren angewendet werden. Ebenso ist von einer Anwendung während der Schwangerschaft oder bei älteren Mensch abzuraten.
Aufgrund der Anwendungsgebiete der Chelattherapie kann eine dringend notwendige, lebensrettende Therapie versäumt werden, wenn sie als alleinige Therapie eingesetzt wird.
Da dem Körper wichtige Mineralstoffe und Spurenelemente entzogen werden, kann der Calciumstoffwechsel gestört werden. Dies kann zu Herzrhythmusstörungen, Krampfanfällen und Atemstillstand bis hin zum Tod führen.
Ebenfalls auftreten können Blutgerinnungsstörungen, Fieberschübe, eine plötzliche Blutdrucksenkung, schwere Entzündungen und Ablagerungen an den Venenwänden (Thrombophlebitis). Weitere Nebenwirkungen sind autoimmunvermittelte hämolytische Anämie, allergische Reaktionen, Juckreiz und Ekzeme am gesamten Körper, Kreatinerhöhung, die ein Indiz für eine Muskelschädigung ist, schwere Beeinträchtigungen des Immunsystems und Knochenmarkschäden.
Für arteriosklerotisch bedingte Durchblutungsstörungen, wie Schaufensterkrankheit oder koronare Herzkrankheit, ist eine therapeutische Wirksamkeit der Chelattherapie nicht belegt. Zu den anderen Anwendungsbereichen sind keine Studien vorhanden. Aufgrund der zahlreichen ernsthaften Nebenwirkungen fällt die Nutzen-Risiko-Bewertung negativ aus. Somit ist die Chelattherapie für diese Anwendungsgebiete „nicht geeignet". Die Bewertung bezieht sich nicht auf den Einsatz der Chelattherapie in der konventionellen Medizin bei Schwermetallvergiftungen.
Letzte Aktualisierung am 14.09.2021.