Die Kneipptherapie ist ein von dem Pfarrer Sebastian Kneipp entwickeltes Behandlungskonzept. Es beruht auf den 5 Säulen Hydrotherapie, Ernährungstherapie, Bewegungstherapie, Pflanzenheilkunde und Ordnungstherapie.
Die Kneipptherapie wurde von dem Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897) entwickelt, nachdem er verschiedene Behandlungsversuche an sich selbst ausprobiert hatte. Während seines Studiums fiel ihm ein Buch der schlesischen Ärzte Johann Sigmund Hahn, Vater und Sohn mit gleichem Vornamen, in die Hände, in dem sie die Wasserbehandlung beschrieben. Mit Tauchbädern in der Donau und Wassergüssen aus der Gießkanne versuchte er daraufhin seine Lungentuberkulose zu behandeln, was ihm schließlich auch gelang.
Ihren Ursprung hat die sogenannte Hydrotherapie bereits in der Antike. Während sie im Mittelalter in Vergessenheit geriet, wurde sie im 17. Jh. in Europa wiederentdeckt. Kneipp verfeinerte die Methode weiter und entwickelte ein Behandlungssystem, das er in seinem therapeutischen Leitfaden „Meine Wasserkur" 1866 veröffentlichte. Nachdem in Wörishofen, wo er als Seelsorger arbeitete, 1880 eine Badeanstalt gebaut wurde, hielt Kneipp zusammen mit Ärzten Sprechstunden ab. In diesen ging es nicht mehr nur um Wasseranwendungen allein, sondern auch um körperliche Bewegung und eine von Moral und Glauben geprägte Grundeinstellung.
1890 wurden die ersten Kneippvereine von Anhängern der Idee vom naturgemäßen Leben gegründet. Vier Jahre später wurde der Kneipp-Ärzte-Bund in Wörishofen gegründet. Heute ist die Kneipptherapie Grundlage der Naturheilmedizin. Einzelne ihrer Verfahren werden in der physikalischen Medizin und der Kurmedizin angewendet. Die Kneipptherapie wird in vielen Fällen stationär im Rahmen einer Kur oder einer Rehabilitationsmaßnahme angeboten. Es gibt speziell ausgebildete Kneippärzte sowie den medizinischen Assistentenberuf des Kneippbademeisters.
Das Konzept der Kneipptherapie beruht auf den Theorien der Humorallehre. Deren therapeutisches Ziel ist es, Krankheitsstoffe aufzulösen und über Nieren, Darm und Haut aus dem Körper auszuleiten. Unterstützt wird dies durch Schwitzen, Fasten, Wasseranwendungen, Heilkräuter und frische Luft.
Kneipp erkannte zudem, dass starke Reize, die durch kaltes oder warmes Wasser auf die Haut wirken, Auswirkungen auf den gesamten Körper haben. Durch wiederholte wechselwarme Behandlungen werden der Körper und vegetativ gesteuerte Körperfunktionen trainiert.
Die Kneipptherapie beruht auf 5 Säulen:
Zusätzlich zu ihnen werden heute auch Entspannungstechniken und Verhaltenstherapien angeboten. Die richtige Ernährung, regelmäßige Bewegung und das Ordnen der Lebensführung waren für Kneipp die Grundlage der Gesunderhaltung. Pflanzenheilmittel setzte er nach traditionellen Überlieferungen ein. Mit Hilfe dieses Konzeptes soll der Patient zur aktiven Mitarbeit an der Gesundung und zu einer vernünftigen Lebensführung angeregt werden. Für die Wirksamkeit der Kneipptherapie ist die Reaktionsfähigkeit des Organismus notwendig.
Die in der Kneipptherapie eingesetzten Wasseranwendungen entsprechen den Grundsätzen der physikalischen Medizin. Ihre Wirkung beruht auf thermischen Reizen, Wasserdruck und Hautberührung, die über die Haut auf die darunter liegenden Schichten wirken. Über das Nervensystem werden die Reize schließlich an die inneren Organe des entsprechenden Körperabschnitts weitergeleitet. Zudem werden durch die Reize die Hormonproduktion angeregt und das Immunsystemstimuliert. Es wird das vegetative Nervensystem angeregt und dadurch Kreislauf, Herztätigkeit, Stoffwechsel und Schmerzempfindlichkeit reguliert. Durch die wiederholte Anwendung der Hydrotherapie wird auch Stress abgebaut.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kälte- und Wärmereize verschiedene Auswirkungen auf den Organismus haben. So wirken kalte Kompressen schmerzstillend, abschwellend und durchblutungsfördernd. Das in der Kneipptherapie angewendete Wassertreten wirkt entstauend. Außerdem wird der Rückfluss des venösen Blutes zum Herzen gefördert. Warme Güsse hingegen erweitern die Gefäße und lösen so Muskelverspannungen. Auch rheumatische Beschwerden können so gelindert werden.
In der Kneipptherapie werden Pflanzenheilmittel nach traditionellem Einsatz angewendet. Für eine Reihe der empfohlenen pflanzlichen Mittel ist kein Nachweis über die therapeutische Wirksamkeit, der den wissenschaftlichen Grundsätzen entspricht, vorhanden. So ist beispielsweise die Verwendung von Haferstroh bedenklich, da er Allergien auslösen kann. Die von Kneipp empfohlenen Rezepte und Anwendungsempfehlungen sind überholt und entsprechen nicht neuesten Erkenntnissen. Sind Studien zu Heilpflanzen vorhanden, sollten diese zu Rate gezogen werden.
Während Kneipp Spaziergänge und Hausarbeit als Bewegungstherapie empfohlen hat, werden heute Ausdauertraining und Heilgymnastik, die wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen und an individuelle Fähigkeiten angepasst sind, in Kneippanstalten durchgeführt. Ein positiver Effekt auf die Gesundheit ist dadurch wahrscheinlich.
Kneipp trat für mäßiges Essen ein und lehnte Genussmittel wie Kaffee und Bier ab. Die Ernährungstherapie entspricht heute jedoch weitgehend den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es ist bekannt, dass eine ausgewogene und gesunde Ernährung die Gesundheit fördert und bestimmte Krankheiten vorbeugen kann.
Ursprünglich hatte die Ordnungstherapie eine religiöse Motivation und zielte auf eine umfassende Lebensordnung. Heute hingegen dient sie dazu, eine natürliche Ordnung in die Beziehungen im körperlichen und physischen Bereich und deren Wechselwirkungen zu bringen. Es wird das Augenmerk auf vorgegebenen Lebensvorgängen gerichtet und ihre Störungen ausgeglichen. Aus wissenschaftlicher Sicht erscheint dies überzeugend.
Die Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) und eine ärztliche Untersuchung stellen die Grundlage für die Kneipptherapie dar.
Die Kneipptherapie besteht aus verschiedenen Anwendungen, die nach Bedarf und Beschwerden ausgewählt werden. Es wird ein individuell dosiertes Programm aus langsam ansteigenden Reizen entwickelt, die die Funktionen des Organismus trainieren und sie so stärken. Bei der Dosierung der Reize gilt dabei das Motto: so mild wie möglich, so stark wie nötig. Da die Reaktion eines Areals auf die Reize bei häufiger Anwendung nachlässt, muss die Behandlungsfläche öfter gewechselt werden. Die Durchführung der Kneipptherapie wird von einem Kneippbademeister beaufsichtigt.
Es gibt zahlreiche Wasseranwendungen, bei denen die Stärke der Reize von schwachen, kaum belastenden bis hin zu anstrengenden Maßnahmen reicht. Sie alle werden jedoch immer bei erwärmter Haut von außen zum Herzen hin durchgeführt.
In der Kneipptherapie werden pflanzliche Heilmittel in erster Linie als Zusätze zu Umschlägen, Bädern, Inhalationen und Dampfbädern eingesetzt. Auch als Einreibungen in Salben und Ölen, sowie als Tee und in Form von Säften oder Dragees werden sie angewendet.
Die Bewegungstherapie enthält mehrstündige tägliche Spaziergänge an der frischen Luft, die sogenannter Terrain-Kur, sowie Rad fahren, Schwimmen, Waldlauf und Gymnastik. Sie wird auch in Kombination mit Wasseranwendungen eingesetzt.
Die Ernährung soll den Kalorienbedarf decken und alle wichtigen Nährstoffe in der optimalen Menge und dem richtigen Verhältnis enthalten. Auch soll sie frei von schädigenden Stoffen sein.
In der Ordnungstherapie lernt der Patient, auf seine innere Uhr zu hören und einen gesunden Lebensstil zu finden. Es wird der eigene Standpunkt zu existentiellen Fragen überprüft und neu bestimmt. Dadurch wird die Zielvorstellung für ein sinnvolles Leben entwickelt.
Die meisten Wasseranwendungen eignen sich auch als Selbstbehandlung. Ausnahmen stellen beispielsweise Blitzguss und Überwärmungsbad dar. Eine fachliche Anleitung zum Einüben der Anwendungen ist sinnvoll.
Die Ausbildung in der Kneipptherapie für Ärzte und die Spezialisierung als Kneippbademeister wird vom Kneipp-Ärzte-Bund e.V. angeboten.
Die Anwendungsbereiche der Kneipptherapie sind die allgemeine Gesunderhaltung und Abhärtung, aber auch die Rehabilitation nach akuten Krankheiten, Operationen und Unfällen. Außerdem wird sie bei funktionellen Störungen, psychovegetativen Beschwerden, chronischen Leiden und stressbedingten Effekten eingesetzt.
Weitere Anwendungsgebiete sind Durchblutungsstörungen, Herz- und Kreislauferkrankungen, Verdauungsproblemen, Entzündungen, Fieber und Schmerzen. Bei Verschleißkrankheiten soll Unterwassergymnastik die Beweglichkeit fördern. Bei Asthma, Neigung zu Infekten, Konstitutionsschwäche, Unter- oder Übergewicht werden spezielle Kinderkuren angeboten.
Die Kneipptherapie darf nicht bei schwerer Hirnleistungsschwäche, schwerer Herzkrankheit, Funktionsstörung und Entzündung von Leber oder Nieren, ansteckender Krankheit, akuter Tuberkulose, akut entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, Schilddrüsenüberfunktion, Suchterkrankungen, schwerer Neurose und psychiatrischen Krankheiten angewendet werden.
Für Patienten, die keine Bereitschaft zur aktiven Gesundheitspflege zeigen, ist die Kneipptherapie ungeeignet.
Bei nässenden, großflächigen Ekzemen und Hautverletzungen, schweren fieberhaften und infektiösen Erkrankungen, schweren Herzerkrankungen und schwerem Bluthochdruck ist die Anwendung von Kneipparzneibädern abzuraten.
Bei erhöhter Empfindlichkeit gegenüber UV-Strahlen und bei schweren depressiven Störungen sollte Kneipp Johanniskrauttee nicht angewendet werden. Johanniskrautpräparate können zudem die Wirksamkeit empfängnisverhütender Arzneimittel und von Depressionsmitteln mit den Wirkstoffen Amitriptylin und Nortriptylin abschwächen.
Wasseranwendungen sollten bei Menschen mit gestörtem Temperaturempfinden nur mit Vorsicht eingesetzt werden. Bei Frösteln ist von kalten Wickeln abzuraten. Bei Verwendung von Eispackungen sollte die Haut mit einem Tuch geschützt werden. Allergiker sollten Anwendungen mit Heu meiden.
Einzelne Wasseranwendungen können Atmung, Herzfunktion und Kreislauf beeinflussen. Aus diesem Grund sollten sie nur unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt und die Selbstanwendung unter fachlicher Anleitung erlernt werden.
Badezusätze mit Auszügen aus Kamille, Fichtennadel und Heublume können allergische Reaktionen hervorrufen. Ebenso können Heusack und Heubad, je nach Zusammensetzung und Herkunft des Heus, Allergien auslösen. Produkte, die Arnika enthalten, können ebenfalls Allergien auslösen. Da Johanniskraut die Haut lichtempfindlich macht, sollten während der Anwendung das Sonnenbaden und das Bräunen im Solarium vermeiden.
Die Kneipptherapie kann Müdigkeit auslösen. Es sollten deshalb nach einer Anwendung der Methode keine Fahrzeuge gelenkt, keine Maschinen bedient und keine Arbeiten ohne sicheren Halt durchgeführt werden.
Die therapeutische Wirksamkeit einzelner Anwendungen ist nachgewiesen. Eine Wirksamkeit der Kneipptherapie als Gesamtmethode ist jedoch nicht belegt. Zwar sind die Risiken gering, die Nutzen-Risiko-Abwägung fällt jedoch insgesamt eher negativ aus. Die Kneipptherapie als Gesamtmethode ist zur Behandlung von Krankheiten und Beschwerden „wenig geeignet". In einigen Anwendungsgebieten ist die Wirksamkeit der Wasseranwendung nachgewiesen.
Letzte Aktualisierung am 13.09.2021.