Die orthomolekulare Medizin (orthos = richtig, Moleküle = Baustein) ist eine von dem amerikanischen Chemiker Linus Pauling entwickelte Methode der Alternativmedizin. Hierbei werden dem Körper verschiedene Substanzen wie Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe in großer Dosis zugeführt.
Nach der Entdeckung der Vitamine und deren industrieller Herstellung in großen Mengen wurde ihre Wirkung bei verschiedenen Krankheiten erforscht. So setzten beispielsweise die Ärzte Dr. Abram Hoffer und Dr. Humphry Osmond in den 1950er Jahren hoho Dosen der Vitamine B3 und C bei schizophrenen Psychosen ein. Der zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling formulierte 1967 das Konzept der orthomolekularen Psychiatrie und schuf damit die Grundlage der orthomolekularen Medizin. Pauling war der Meinung, dass mit der hoch dosierten Zufuhr von Stoffen, die im Körper vorhanden sind, der Körper gesund erhalten und Erkrankungen behandelt werden können.
Mehrere Gesellschaften beschäftigen sich mit den Inhalten und der Verbreitung der orthomolekularen Medizin. Auch auf die Erforschung der Methode wird Wert gelegt.
Die orthomolekulare Medizin geht davon aus, dass chronische Krankheiten durch einen Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen - von den Vertretern der Methode auch als Nährstoffe bezeichnet - entstehen. Der Körper wird dabei schon durch einen geringen Mangel über einen längeren Zeitraum geschädigt. Ein solcher Mangel äußert sich durch unspezifische Symptome wie Erkältungsbereitschaft, Leistungsminderung und Konzentrationsschwäche. Bei einem längeren, geringfügigen Mangel kommt es zu Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen. Mit der Zufuhr hoher Dosen sogenannter Nährstoffe kann diesen Krankheiten vorgebeugt werden.
Eine andere Gefahr für die Gesundheit stellt oxidativer Stress dar. Hierbei wirken Sauerstoffradikale, die durch Umweltbelastung in den Körper gelangen oder direkt im Körper gebildet werden, im Körper. Dadurch werden Schutzmechanismen aktiviert, an denen die Vitamine C und E sowie Beta-Carotin beteiligt sind.
Es wird davon ausgegangen, dass die Wirkung der verschiedenen Substanzen über das Immunsystem vermittelt wird. Aus diesem Grund wird die orthomolekulare Medizin auch oft als immunmodulierendes Verfahren bezeichnet. Immunonutrition bezeichnet hierbei die Versorgung mit den Nährstoffen.
Die orthomolekulare Medizin verwendet medizinisches Wissen in nichtwissenschaftlicher Weise. So ist weitestgehend geklärt, welche biochemischen Vorgänge in Zellen und Geweben ablaufen und welche Rolle Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente dabei spielen. Darauf beruhend wurden Empfehlungen entwickelt, wie viel von diesen Substanzen ein gesunder Mensch aufnehmen sollte. Diese Mengen sind ausreichend, um auch Krankheiten vorzubeugen. Um den benötigten Bedarf zu decken, ist eine ausgewogene Ernährung mit reichlich Obst, Gemüse und Milchprodukten ausreichend. Hohe Dosierungen, wie sie in der orthomolekularen Medizin üblich sind, sind zur Vorbeugung von Erkrankungen nicht notwendig. Zudem können diese nur durch pharmazeutische Mittel erreicht werden.
Dass Sauerstoffradikale an der Entstehungen von chronischen Erkrankungen, die im Alter gehäuft auftreten, und der bösartigen Veränderung von Zellen beteiligt sind, ist wissenschaftlich nachgewiesen. Eine Wirksamkeit hoher Dosierungen von Vitaminen als Radikalfänger bei oxidativem Stress ist jedoch nicht belegt.
Vor einer Behandlung mit der orthomolekularen Medizin wird die Versorgung mit Vitaminen und anderen Substanzen überprüft. Hierzu werden verschiedene Diagnosemethoden eingesetzt. Neben den allgemein üblichen Laboruntersuchungen von Blut und Urin werden auch Spezialtests und eine Haarmineralanalyse durchgeführt.
In der orthomolekularen Medizin werden Vitamine, Spurenelemente, Mineralstoffe, Fettsäuren und Aminosäuren verabreicht. Oft werden sie kombiniert eingesetzt, da sie so gegenseitig ihre Wirkung fördern sollen.
Es wird empfohlen, bereits in jungen Jahren regelmäßig die Wirkstoffmischungen einzunehmen. Die Einnahme soll bis ins hohe Alter fortgesetzt werden. Die benötigte Menge an Vitamin C in diesen Wirkstoffgemischen wird durch individuelle Versuche ermittelt. Dazu werden zunächst 3 bis 6g Vitamin C eingenommen. Die Dosis wird jeden Tag um 2g gesteigert bis sich Anzeichen für eine Überdosierung, wie Durchfall, zeigen. Anschließend wird die eingenommene Menge täglich um 1 bis 2g reduziert, bis der Durchfall nachlässt. Die Menge an Vitamin C, die auf diese Weise ermittelt wird, gilt als individueller Vitamin-C-Bedarf. Ist der Arzt der Meinung, dass mehr Vitamin C notwendig ist, als der Patient verträgt, wird es injiziert. Es können auch andere Substanzen gespritzt werden.
Die Einnahme der Wirkstoffe wird zur Krankheitsvorbeugung und -behandlung auch ohne ärztlichen Rat empfohlen.
Zur Anwendung der orthomolekularen Medizin ist keine spezielle Ausbildung nötig. Die einzelnen Gesellschaften der orthomolekularen Medizin bieten eine einheitliche standardisierte Ausbildung, deren Inhalte und Qualitätsansprüche festgelegt sind, für Interessierte an. Den Abschluss bildet eine Prüfung, die mit einem "Diplom" bestanden wird. Zielgruppe dieser Ausbildung ist nicht ärztliches Personal, wie etwa Arzthelferinnen und andere in Arztpraxen tätige Personen.
Manchmal wird die orthomolekulare Medizin auch im Rahmen der IGeL (individuelle Gesundheitsleistungen) in Arztpraxen angeboten. Hierbei müssen die ärztlichen Leistungen und empfohlenen Substanzmischungen selbst bezahlt werden.
Hauptanwendungsgebiete der orthomolekularen Medizin sind die Erhaltung der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit, die Vorbeugung von Krankheiten und das Heilen bestehender Krankheiten. Zudem wird sie auch im "Anti-Aging"-Bereich eingesetzt, um den Alterungsprozess zu verlangsamen. Damit wird praktisch der gesamte Bereich der Medizin abgedeckt.
Die orthomolekulare Medizin wird außerdem im Rahmen der orthomolekularen Psychiatrie angewendet. Mit der Methode sollen psychiatrische Krankheiten, vor allem Schizophrenie, aber auch antisoziales Verhalten, wie es bei Straffälligen häufig auftritt, behandelt werden.
Für Einzelsubstanzen der orthomolekularen Medizin gelten verschiedene spezielle Gegenanzeigen. Die hier aufgeführten Substanzen sollten deshalb nicht in hoher Dosierung eingenommen werden:
Es sind für alle Einzelsubstanzen die Wechselwirkungen mit Arzneistoffen zu beachten. Bei zugelassenen Arzneimitteln sind diese im Beipackzettel angegeben.
Während der Schwangerschaft sollten nicht mehr als 10000 I.E. Vitamin A eingenommen werden, da es sonst zu Fehlbildungen kommen kann. Auch andere Vitamine sollten nicht in hoch dosierter Form eingenommen werden.
In der orthomolekularen Medizin werden oft Diagnosemethoden, wie die Haarmineralanalyse, eingesetzt, die nicht anerkannt sind. Mit ihnen kann ein Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen oder Spurenelementen nicht sicher festgestellt werden. Zudem können sie teilweise sehr teuer sein.
Eine Überdosierung der fettlöslichen Vitamine A, D, E, und K kann zu Störungen und Krankheiten führen. Zwar werden wasserlösliche Vitamine bei hoher Dosierung wieder ausgeschieden. Es können dennoch unerwünschte Wirkungen auftreten. Werden hohe Dosierungen von Vitaminen bei Krebserkrankungen eingesetzt, besteht das Risiko, dass das Tumorwachstum beschleunigt wird. Soll das Immunsystem angeregt werden, ist auf die Dosis des Mittels und den Zeitpunkt der Gabe zu achten, da sonst das Abwehrsystem unterdrückt werden kann.
Weitere unerwünschte Wirkungen, die bei Überdosierung auftreten können:
Bei Kindern besteht die Gefahr einer Überdosierung der Substanzen. Die Langzeiteinnahme von hoch dosiertem Vitamin A kann vermehrt zu Oberschenkelhalsbrüchen führen. Aufgrund langsamer arbeitender Nieren und Leber kann es zudem zu einer Überdosierung kommen.
Es gibt nicht ausreichend Nachweise für die therapeutische Wirksamkeit der orthomolekularen Medizin. Zudem bestehen erhebliche Risiken. Dadurch fällt die Nutzen-Risiko-Abwägung negativ aus. Die orthomolekulare Medizin ist somit zur Behandlung von Krankheiten "nicht geeignet".
Letzte Aktualisierung am 13.09.2021.