Das Raynaud-Syndrom oder Raynaud-Phänomen ist eine Gefäßerkrankung und gehört zu den funktionellen Durchblutungsstörungen. Die Erkrankung wird durch eine Verengung der Gefäße der Akren bzw. Gefäßkrämpfe (Vasospasmus) hervorgerufen und ist durch anfallsweise Abblassen vor allem der Hände oder Füße gekennzeichnet.
Zu den Akren zählen unter anderem Kinn, Lippen, Zunge, Nase, Ohren, Finger und Füße. Die Krämpfe treten anfallsartig meist an den Fingern und Zehen auf und werden durch Kälte oder Stress hervorgerufen. Diese Gefäßkrämpfe können unter Wärmeeinfluss und Medikamenten wieder gelöst werden.
Die Erkrankung wurde zum ersten Mal im Jahre 1862 durch den französischen Arzt Maurice Raynaud (1834-1881) beschrieben. Er beobachtete eine durch Kälte verursachte Durchblutungsstörung der Finger, die durch ihr Anlaufen in Phasen gekennzeichnet ist.
Umgangssprachlich wird die Erkrankung auch als Weißfingerkrankheit oder Leichenfinger bezeichnet.
Man unterscheidet zwei Formen des Raynaud-Syndrom:
Die Ursache des primären Raynaud-Syndrom ist bislang unbekannt (idiopatisch). Die Symptome treten also ohne erkennbare Grunderkrankung auf. Es treten Fehlregulationen der Gefäße auf, ohne dass an den Gefäßen selbst krankhafte (pathologische) Veränderungen feststellbar sind.
Typischerweise sind hier alle Finger, außer dem Daumen, gleichmäßig betroffen. Bei der primären Form der Erkrankung handelt es sich um eine unangenehme, aber nicht gefährliche Erkrankung. Sie kommt bei etwa sieben Prozent der Bevölkerung vor. Oft wird ein solcher Anfall durch Kälteexposition oder psychische Belastung ausgelöst.
Das sekundäre Raynaud-Syndrom tritt im Rahmen anderer Erkrankungen auf. Am häufigsten wurde sie beobachtet bei der Sklerodermie und dem Lupus erythematodes. Seltene Ursachen sind Traumen (wie Vibrationstrauma, durch Gebrauch eines Presslufthammers), Nervenschäden, Überdosierung bestimmter Medikamente (Betablocker oder Migränemittel), das Karpaltunnelsyndrom und andere Engpass-Syndrome im Hals-Arm-Bereich sowie die periphere arterielle Verschlusskrankheit.
Das sekundäre Raynaud-Syndrom tritt als Begleiterkrankung vor allem auf bei:
Nach Schätzungen der National Institutes of Health leiden in den USA etwa 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung am Raynaud-Syndrom. Es handelt sich also um ein häufiges aber teilweise noch unbekanntes Syndrom.
Lehrbüchern zufolge erkranken vor allem Frauen zwischen 15 und 40 Jahren und sind fünfmal häufiger betroffen als Männer. Bei stillenden Frauen kann sich das Raynaud-Syndrom auch an den Brustwarzen bemerkbar machen, wobei sich bereits während des Stillens die jeweilige Brustwarze weiß verfärbt.
Das primäre Raynaud-Syndrom betrifft Frauen doppelt so häufig wie Männer. Sie tritt meist das erste Mal in der Pubertät auf und bessert sich erst wieder in den Menopause (Wechseljahre). Die primäre Form kommt aber auch oft bei Menschen vor, die viel mit den Fingern oder mit stark vibrierenden Maschinen (wie Presslufthammer) arbeiten. Dagegen tritt das sekundäre Raynaud-Syndrom unabhängig von Alter auf und ist abhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung.
Es ist völlig normal, dass sich bei Kälte die kleinen Gefäße der Finger, Zehen und Haut verengen. Dadurch wird die Durchblutung gedrosselt und der Wärmeverlust minimiert, indem mehr Blut von oberflächlichen Hautgefäßen in tiefere Körpervenen geleitet wird. Beim Raynaud-Syndrom reagieren jedoch die Arterien krampfartig und die Durchblutung wird zu stark und einfach zu lange gedrosselt. Kälte ist der häufigste Auslöser, daher treten auch die Symptome im Winter besonders häufig auf. Oft ist jedoch nicht unbedingt große Kälte erforderlich. Manchmal reicht schon ein kurzer Temperaturwechsel aus, wie der Griff in den Kühlschrank, um einen Anfall auszulösen.
Als weitere Ursachen werden diskutiert:
Beim Raynaud-Syndrom liegt eine Fehlinnervation durch den Sympathikus zugrunde, der über Alpha-Adrenorezeptoren eine Gefäßverengung (Gefäßkonstriktion) der Endarterien (Arteriolen) bewirkt. In der Folge kommt es zu einem Gefäßspamus, der Blutfluss wird in den betroffenen Arealen sehr stark eingeschränkt. In den meisten Fällen lösen sich die Spasmen von selbst.
Ursache können auch Arterienverschlüsse sein, etwa durch Mikrothromben (kleine Gerinnsel), Verengungen der Gefäße, Kompressionen, dauerhafte Vibration oder Erfrierungsschäden.
Entzündliche Veränderungen kommen vor bei Kollagenosen, Wegener-Granuolmatose (seltene, schwere Gefäßentzündung), rheumatoide Arthritis u.a.
Hierzu zählen Kälteagglutinine (Antikörper, die den Abbau von Blut hervorrufen können), Thrombozytose (erhöhte Zahl von Blutplättchen) und Polyzythämie (erhöhte Zahl von roten Blutkörperchen).
Hierzu gehören Medikamente gegen Bluthochdruck (Beta-Blocker), hormonelle Antikonzeptiva („Pille") und Chemotherapeutika (Zytostatika).
Ursachen, abhängig von der Form der Erkrankung:
Sie tritt ohne eine zugrundeliegende Erkrankung eigenständig auf und ist die häufigste Form der Erkrankung. Leider ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt, wie es zur Entstehung eines primären Raynaud-Syndroms kommt. Die Erkrankung tritt häufig gemeinsam mit anderen vasospastischen (durch Gefäßkrämpfe verursachte) Erkrankungen wie Migräne auf.
Die sekundäre Form kann durch viele verschiedene Erkrankungen hervorgerufen werden. Es liegen also organische Veränderungen zugrunde, die eine entsprechende Symptomatik hervorrufen können. Insgesamt gibt es etwa 40 Erkrankungen die mit der Raynaud-Symptomatik verknüpft werden.
Das Raynaud-Syndrom verläuft in der Regel in drei Phasen:
Die Abfolge wird auch als Tricolore-Phänomen bezeichnet.
Als Leitbeschwerden kann man zusammenfassen:
Durch die Gefäßkrämpfe kommt es zu einer deutlich sichtbaren und begrenzten Verfärbung der betroffenen Regionen, die minutenlang bis zu Stunden andauern können. Bei langen oder häufigen Attacken wird insbesondere an den Fingerkuppen das Gewebe geschädigt. Diese Schädigung wird in der Medizin auch als Rattenbissnekrose bezeichnet.
Beachte: Der Befall tritt immer symmetrisch auf, also es sind gleichzeitig beide Hände, Füße etc. betroffen. Durch das Rauchen werden die Symptome verstärkt, da das Nikotin zusätzlich die Gefäße verengt.
Bei längerem Bestehen eines Raynaud-Syndroms, können - je nach Schwere der Erkrankung- Folgeschäden an den Blutgefäßen auftreten. Es können sich Gefäßaussackungen (Aneurysmen) an den Kapillaren bilden oder sich die Gefäßinnenhaut verdicken. Durch eine anhaltende Mangeldurchblutung kann es im Extremfall zu einem Absterben von Gewebe (Nekrose) und zu offenen Geschwüren (Gangrän) kommen. Dies betrifft jedoch fast ausschließlich das sekundäre Raynaud-Syndrom.
Unterschied primäres und sekundäres Raynaud-Syndrom:
Beim primären Raynaud-Syndrom besteht ein symmetrischer Befall der Finger bzw. Zehen. Zudem kommt es normalerweise nicht zu einem Absterben von Gewebe. Bei längerem Bestehen des primären Raynaud-Syndroms kann die Haut glatt, straff und glänzend werden. Zwischen den Anfällen können die Finger und Zehen kalt sein und leicht zum Schwitzen neigen.
Dagegen sind beim sekundären Raynaud-Syndrom die Finger oft asymmetrisch betroffen. Zudem kommt es nicht selten zu einem Gewebeuntergang, zunächst in Form von so genannten Rattenbissnekrosen.
Die Diagnose des Raynaud-Syndroms wird meist anhand der Krankengeschichte, der geschilderten Beschwerden und der klinischen Untersuchung gestellt. Bei der körperlichen Untersuchung sind die Pulse der hand- und fußversorgenden Arterien normal tastbar (beim primären Raynaud-Syndrom). Wichtig ist natürlich auch die Differenzierung zwischen einem primären und sekundären Raynaud-Syndrom.
Zur klinischen Diagnostik zählen:
Ein Raynaud-Anfall lässt sich provozieren, indem man die Hände in Eiswasser legt. Hierzu muss der Betroffene die Hände drei Minuten lang in Eiswasser halten. Dies kann vasospastische Anfälle auslösen. Durch ein bis zwei Hübe Nitrospray auf die Zunge oder durch die Wiedererwärmung der Hände, können die Gefäßkrämpfe gelöst werden. Das Nitrospray wirkt gefäßerweiternd.
Ein symmetrischer Befall des 2. bis 5. Fingers deutet auf ein primäres Raynaud-Syndrom hin. Sind hingegen einzelne Finger asymmetrisch befallen und sprechen weder auf Wärme noch auf Nitrospray an, so spricht dies eher für ein sekundäres Raynaud-Syndrom.
Bei erhobener Hand muss der Betroffene die Faust 20 mal öffnen und schließen, während der Untersucher dabei das Handgelenk des Betroffenen fest umschließt. Beim sekundären Raynaud-Syndrom, also bei asymmetrisch lokalisierten Gefäßverengungen, kommt es im Anschluss möglicherweise zum Abblassen einzelner Finger. Nach dem Loslassen des Handgelenkes zeigt sich bei einzelnen Fingern ein verzögerter Bluteinstrom.
Wichtig ist der Ausschluss eines sekundären Raynaud-Syndroms. Dazu muss eine Blutuntersuchung erfolgen. Das Blut wird auf Entzündungszeichen, Veränderungen der Blutzusammensetzung, bestimmte Eiweiße und Antikörper untersucht. Bei auffälligen, krankhaften (pathologischen) Werten, besteht zunächst der Verdacht auf ein sekundäres Raynaud-Syndrom. Dieser Verdacht muss durch weitere umfangreiche Untersuchungen erhärtet werden. Außerdem muss, wenn noch nicht bekannt, die Grundkrankheit gesucht werden.
Die Untersuchung wird in Spezialableitungen für Rheumatologie oder Gefäßheilkunde durchgeführt. Es erfolgt eine Beurteilung der Kapillaren unter der Lupe oder dem Mikroskop. Man kann am Nagelbett des Patienten typische Veränderungen in den Blutgefäßen feststellen. Außer der klinischen Diagnostik gibt es natürlich auch die apparative Diagnostik. Hier stehen zur Verfügung:
Mit Hilfe des Ultraschalls kann man mit einer kleinen Sonde, zumindest die handversorgenden Arterien darstellen, und auf Gefäßverengungen hin untersuchen.
Die Fingerplethysmographie kommt vor und nach einer Kälteexposition zum Einsatz. Hierbei misst man die durchblutungsbedingten Volumenschwankungen einzelner Finger. Im Falle des primären Raynaud-Syndroms kann man nach Kälteexposition krankhaft veränderte Kurven beobachten, die sich jedoch nach Gabe von Nitrospray wieder normalisieren.
Die Gefäßdarstellung erfolgt mit einem röntgendichten Kontrastmittel. Bei einem primären Raynaud-Syndrom zeigen sich im Bereich der fingerversorgenden Arterien, Gefäßkrämpfe mit einer entsprechenden Durchblutungsstörung. Die Krämpfe verschwinden durch die Gabe eines so genannten Alphablockers. Besteht jedoch eine organisch fixierte Engstelle der Arterien, so lassen sich die Durchblutungsstörungen durch dieses Medikament nicht beseitigen.
Erkrankungen, die dem Beschwerdebild eines Raynaud-Syndrom ähnlich sind:
Eigentlich ist das Raynaud-Syndrom harmlos, so das eine Therapie in der Regel nicht notwendig ist. Die Patienten sollten zunächst versuchen, die Anfälle ohne Medikamente in den Griff zu bekommen. Dies reicht oft beim primären Raynaud-Syndrom aus.
Reichen einfache Maßnahmen nicht mehr aus, so verschreibt der Arzt Medikamente.
Medikamentös erreicht man eine Vasodilatation (Erweiterung der Gefäße) durch ACE-Hemmer (Enalapril) oder Calciumantagonisten (Nifedipin). Zudem helfen auch Nitrosalben und Nitrogel. In den letzten Jahren wird auch zunehmend das Alpostradil (Prostaglandin E1-Analogon) eingesetzt.
Als operative Maßnahme steht die Sympathektomie zur Verfügung. Hierbei werden die gefäßverengenden Nervenbahnen durchtrennt. Das Ganglion stellatum und das zweite und dritte Thorakalganglion werden ausgeschaltet. Diese Ganglien (Nervenknoten) befinden sich also im Bereich des sympathischen Grenzstrangs. Dieser Grenzstrang befindet sich hinten in der Brusthöhle. Als Zugangsweg wird meist die Achselhöhle gewählt. Der Eingriff ist, aufgrund der Lage der Ganglien, nicht besonders risikoarm.
Leider wird hierbei auch meist die Schweißregulation gestört. Zudem hält der Erfolg der Sympathektomie oft nur zwei bis drei Jahre an. Daher wird sie im Zusammenhang mit dem Raynaud-Syndrom auch nur noch selten angewandt. Beim sekundären Raynaud-Syndrom steht die Behandlung der auslösenden Grunderkrankung im Vordergrund.
Die Prognose des primären Raynaud-Syndroms ist gut. Die Patienten erreichen eine gute Lebensqualität, die durch die Einhaltung der allgemeinen Maßnahmen weiter steigt. Der Grund dafür ist, dass es hier normalerweise nicht zum Absterben von Gewebe kommt.
Dagegen ist die Prognose des sekundären Raynaud-Syndroms abhängig vom Verlauf der Grunderkrankung. Hier können länger anhaltende Gefäßkrämpfe entstehen, die im Extremfall zu einem Gewebetod (Nekrose) der Fingerkuppe oder ganzer Finger führen können. In diesem Fall ist eine Amputation unumgänglich.
Das Raynaud-Syndrom ist zwar für den Patienten unangenehm, stellt aber meist keine gefährliche Erkrankung dar. Es gibt allgemeine Maßnahmen, die helfen, einen Raynaud-Anfall zu vermeiden. Sie sind Grundlage jeder Therapie und müssen von den Patienten konsequent durchgeführt werden.
Hilfreiche Maßnahmen und Tipps für den Alltag:
Auch wenn sich ein Raynaud-Anfall ankündigt, können sie oft noch durch einfache Maßnahmen etwas unternehmen, um den Gefäßkrampf rechtzeitig zu beenden. Wärme tut gut! Gehen Sie ins Warme oder lassen Sie warmes (nicht heißes!!!) Wasser über die Hände fließen. Massieren oder bewegen Sie Ihre Hände. Sie können die Finger auch unter die Achseln stecken, das ist einer der wärmsten Stellen des Körpers.
Letzte Aktualisierung am 10.09.2021.